Experte: "Migration beste Maßnahme gegen Armut"


Wien (23.06.2016) -

Bernhard Perchinig, ICMPD Research
(Foto: Gerhard Kamptisch, fotodienst.at)

Während die Flüchtlingskrise in aller Munde ist, kommt das Thema Arbeitsmigration im öffentlichen Diskurs derzeit zu kurz. Dabei ist eine geordnete, gar nicht unbedingt dauerhafte Zuwanderung von Arbeitskräften nicht nur für die Wirtschaft von Vorteil. "Migration ist eine der besten Maßnahmen gegen Armut", erklärt der Migrationsexperte Bernhard Perchinig vom International Centre for Migration Policy Development https://icmpd.org , im Gespräch mit pressetext. Denn Rücküberweisungen in die jeweiligen Heimatländer sind dort ein Motor für Stabilisierung, Entwicklung und Bildung. Eine geeignete Migrationspolitik könnte diesen Effekt noch verstärken.

Bildungs-Aufwärtsspirale

"Arbeitsmigration hat viel mit Entwicklung zu tun", betont Perchinig. Denn oft sei es Teil eines Zukunftskonzepts, dass ein Migrant mit Rücküberweisungen die Familie daheim unterstütze. Solche Zahlungen machen mittlerweile oft mehr aus als Entwicklungszusammenarbeit. "Sie versickern auch nicht in Verwaltung und Korruption", betont der Experte. Der Effekt der Rücküberweisungen geht dabei weit über die Befriedigung von Grundbedürfnissen hinaus. "Das Geld wird meist auch verwendet, um Kinder und speziell auch Mädchen länger in die Schule zu schicken", betont der Fachmann. Das kann letztlich quasi eine Aufwärtsspirale bewirken.

Bessere Bildungsstandards in den Herkunftsländern von Arbeitsmigranten sind laut Perchinig eine unbedingte Notwendigkeit. Daher sollte die EU versuchen, hier auch politische Hebel anzusetzen. Da die Herkunftsländer oft überzogene Militär- und mickrige Bildungsbudgets haben, wären Friedensprozesse und eine Umschichtung zugunsten der Bildung von Vorteil. "Man könnte versuchen, Länder zu belohnen, denen das gelingt", so Perchinig. Das ginge beispielsweise mit Erleichterungen beim legalen Zugang zum EU-Arbeitsmarkt. Sinnvoll wären dem Experten zufolge auch mehr befristete Arbeitsvisa, die zirkuläre Migration mit mittelfristiger Rückkehr in die Heimat begünstigen.

Gute Bildung zählt immer

Die meisten Arbeitsmigranten sind Perchinig zufolge junge Erwachsene, die dank Verwandten und Freunden im Zielland schon einen Job in Aussicht haben, Kontakt zur Familie halten und Rücküberweisungen schicken. Das erleichtert die Integration, gibt Stabilität und ist somit ein mehrfacher Vorteil gegenüber Flüchtlingen. Sie sind meist entwurzelte Menschen, die auch in der neuen Heimat zunächst keine Perspektive haben. "Man muss diese Leute auch ihrer Qualifikation entsprechend einsetzen", fordert Perchinig. Bei Asylsuchenden bedeute das, sich bereits während des laufenden Verfahrens mit ihrem Bildungsstand auseinanderzusetzen.

Gerade unbegleitete Minderjährige haben oft keine abgeschlossene Ausbildung. Es wäre also sinnvoll, ihnen möglichst schnell zumindest einen Lehrabschluss zu ermöglichen, so Perchinig. Denn laut einer 2014 erschienenen Studie des Volkswirts Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung https://www.zew.de reicht statistisch schon ein solcher, damit Migranten zu Nettozahlern für die Staatskasse werden. Bei hochqualifizierten Flüchtlingen, wie beispielsweise Ärzten, wiederum wäre es aus Sicht des Experten angebracht, die Anerkennung ihrer Ausbildung bereits während des Asylverfahrens voranzutreiben. Das würde für die Betroffenen schneller sinnvolle Perspektiven schaffen.



pressetext.redaktion,
Thomas Pichler



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